Siebensamkeit

20.07.2017

Ich versuche gerade angestrengt, in mich hineinzuhören. Gefühle zu finden. Meiner Intuition zu folgen. Aber in meinem Hirn ist alles so laut, dass ich sie nicht wahrnehme. Alles ist schrecklich verkopft zur Zeit, so erholsam es auch wäre, für ein paar Minuten nicht denken zu müssen. Früher ging das ganz leicht. Früher: mit der Essstörung. Die Lebensmittelberge haben die Gedanken einfach unter sich begraben wie eine Lawine die vom Weg abgekommenen Wintersportler. Aber früher ist nun mal nicht jetzt. Denn jetzt geht es ohne Essstörung. Ohne Fressanfälle. Ohne Betäubung. Und damit ohne Denkpause, die eigentlich dringend nötig wäre. Mir geht nämlich so langsam die Kraft aus.
Was tue ich also als fleissige Borderlinerin in Ausbildung? Genau. Achtsamkeit üben. Innere vor allem; das Aussen spüre ich auch so zur Genüge (ganz besonders dann, wenn ich es so vehement nicht spüren will). Ausgerechnet ich, die von Achtsamkeitsübungen dieser Art hauptsächlich das zweite Erklingen des Gongs zu schätzen wusste. Heisst nämlich, dass es vorbei ist. In einer Phase hoher Anspannung oder sogar während der Hochspannung hilft mir Achtsamkeit tatsächlich nicht, das habe ich ausreichend probiert. Aber nun bin ich, zumindest soweit ich das wahrnehme, nicht angespannt. Nur leer. Immer noch so unheimlich leer. Und weil das so langsam keinen Spass mehr macht, sitze ich nachts, wenn ich eigentlich schlafen sollte, aufrecht auf meinem Bett und höre einer Meditationsanleitung zu. Die Apfelfirma hatte wohl doch recht: Es gibt für alles eine App. Und diese hier ist gar nicht so übel. Gut, ich habe gestern erst damit angefangen, aber dass ich mir fest vorgenommen habe, heute weiterzumachen, sagt schon einiges. Der Titel immerhin ist vielversprechend. Headspace. Ein bisschen mehr Platz im Kopf könnte ich tatsächlich gebrauchen. Der ist nämlich übervoll an Gedanken. Schweren, leichten, konstruktiven, destruktiven, sinnlosen und solchen, die vielleicht dazu bestimmt sind, weitergedacht zu werden. Ist also nicht alles Quatsch, was mein Hirn da produziert. Nur im Allgemeinen halt zu viel. So viel, dass ich nicht mehr durchblicke. Ja, es muss wirklich mehr Headspace her.
Nicht, dass das gestern schon so richtig geklappt hätte. Eigentlich war der Erfolg sogar recht überschaubar. Hmm. Und nun? Ich könnte mich darüber aufregen, dass ich es momentan nicht schaffe, achtsam zu sein. Oder ich akzeptiere es, übe weiter und bin vorerst eben siebensam. Was für den Anfang eigentlich nicht schlecht ist. Ich könnte schliesslich auch bloss sechssam sein.

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